Freitag, 6. Februar 2009

Reisen im Nichts



Ach, wenn es doch so einfach wäre! Sich einfach ins Auto setzen, Zeit eintippen und losdüsen. 88 Meilen pro Stunde - zack! - ist man in ferner Zukunft angelangt - oder in dunkler Vergangenheit. Doch so einfach wie in dem Science-Fiction-Klassiker "Zurück in die Zukunft" ist das Zeitreisen doch nicht. Obwohl es an Interessenten, die zum Beispiel mit den Aktienkursen von heute im Gepäck gestern an die Börse gehen wollten, bestimmt nicht mangeln würde. Oder das verhunzte Date mit der Traumfrau wiederholen und diesmal darauf achten, dass man nicht allzu offensichtlich in der Nase bohrt. Was steht dem Zeitreisen also im Wege? Zeit ist doch, wie der Raum, nur eine weitere Dimension, oder?

Der geniale Physiker Stephen Hawking hat mal gescherzt, wenn Zeitreisen möglich wären, wären wir schon längst von Touristenhorden aus der Zukunft überrannt worden. Aber jetzt mal im Ernst: Man muss erst mal differenzieren zwischen der Reise in die Zukunft und einer solchen in die Vergangenheit. Zunächst zum Einfacheren: Die Zukunft. Hier gibt es tatsächlich ein relativ klares Prinzip, dass uns erlaubt, nach 3 Minuten unsere Enkelkinder zu sehen. Man steige entweder in eine Rakete, die mit einem lichtgeschwindikeitsnahen Tempo durchs Weltall düst, oder man parke die Rakete am Rande eines gravitationstriefenden Schwarzen Lochs (ohne hineinzurutschen, versteht sich). Denn nach der speziellen und allgemeinen Relativitätstheorie vergeht die Zeit um so langsamer je schneller man sich bewegt oder je stärker die Gravitationskraft ist, die auf einen einwirkt. Während für Deine auf der Erde gebliebenen Zeitgenossen ein Jahrhundert vergeht, zeigt Deine eigene Uhr nur fünf Minuten. Oder noch weniger. Der Kosmonaut Sergej Krikaljow reiste während seiner rund 800 Tage im Weltall eine ganze Fünzigstelsekunde in die Zukunft - aber nur, weil wir noch keine höheren Geschwindigkeiten produzieren können.

Viel schwieriger sieht es aus, wenn es um Reisen in die Vergangenheit geht. Da gibt es einen kleinen und zwei große Stolpersteine. Der kleine ist die Logik. Man argumentiert, wenn Vergangenheitsreisen möglich wären, käme es zu einem unauflösbaren Paradoxon:

Man könnte seinen eigenen Großvater töten,
so dass man selbst niemals geboren würde,
so dass niemand da wäre, der den Großvater töten könnte,
so dass man nun doch geboren würde
und in die Vergangenheit reisen würde, um den Großvater zu töten...

Man dreht sich also immer im Kreis, und das Universum mag solche Widersprüche nicht. Auf dieses Problem gibt es aber eine erstaunlich einfache Antwort - das Selbstübereinstimmungsprinzip. Es besagt, dass nur solche Geschehensabläufe möglich sind, die keine Selbstwidersprüche enthalten. Wenn ich also geboren wurde, dann kann ich zwar in die Vergangenheit reisen, um meinen Großvater zu töten, aber ich werde es irgendwie nicht schaffen - entweder ich treffe ihn nicht an oder verwechsle jemand anderen mit ihm (und weiß jetzt, wer den rätselhaften ungeklärten Mord begangen hat, von dem der Großvater einmal erzählt hat). Und wenn ich in die Vergangenheit reise, um herauszufinden, was für einen gewaltigen ungewöhnlichen Lichtblitz meine Nachbarn vor zwei Tagen gesehen haben, dann ist die einzige Erklärung für den Lichtblitz, dass ich ihn durch die Zeitreise selbst verursacht habe. Die Kausalitätsschleife wird auf diese Weise geschlossen, die Welt ist wieder in sich stimmig.

Nun aber zum ersten großen Stolperstein: Wie uns ein unbedeutender Patentbeamter aus Bern mitgeteilt hat, hat jedes Objekt seine eigene Zeit (sonst wäre die oben erwähnte Reise in die Zukunft, die sich ja auch nur auf ein Objekt bezieht, nicht möglich). Steigt man also in die Zeitmaschine, reist man deshalb nur in die eigene Vergangenheit - sprich, man wird jünger. Dem Rest der Welt ist dies völlig egal, er bleibt, wie er ist. Um "in die Vergangenheit" im Sinne der Science-Fiction-Stories zu reisen, müsste man umgekehrt die ganze Restwelt in die Zeitmaschine stecken (und selbst draußen bleiben), was technisch offensichtlich unmöglich ist (weitere daraus folgende Verwicklungen von Vergangenheitsreisen hier).

Das größte Problem an Reisen in die Vergangenheit ist aber dies: Man kann nicht in etwas reisen, das nicht existiert. Und die Zeit existiert nicht. Natürlich haben wir alle eine Uhr, aber die Zeit gibt es als solche gar nicht. Sie ist ein bloßes Konstrukt unseres Bewusstseins, eine Rechenhilfe, ein Maß für Veränderungen der Welt. Der Physiker Ernst Mach sagte mal: "Die Zeit ist ... eine Abstraktion, zu der wir durch die Veränderung der Dinge gelangen", und damit hat er Recht. Deshalb ist es auch unsinnig zu fragen, was es vor dem Urknall gab - da nichts existierte, gab es auch keine Zeit, kein Maß für Veränderungen oder Bewegungen von irgendwas. "Vor dem Urknall" ist damit ein ebenso unsinniger Satz wie: "Nördlich des Nordpols". Da Zeit nur in der Wahrnehmung existiert, kann man im Übrigen auch messen, wie schnell sie für ein bestimmtes Wesen vergeht. Passieren im Gehirn 100 Rechenprozesse in 1 Sekunde, vergeht für dieses Wesen die Zeit langsamer, als wenn dieselben Prozesse 10 Sekunden brauchen ("huch, nur mal kurz geniest und schon 10 Sekunden vorbei!..."). Deshalb geht die Zeit im Alter, mit abnehmendem Tempo von Denkprozessen nachweislich langsamer. Ist aber die Zeit nur eine Denkhilfe für unseren Verstand und nichts mehr, kann man in ihr auch nicht reisen. Man kann nur den Ablauf der Vorgänge beschleunigen oder verlangsamen (s.o. Zukunftsreisen), aber niemals umkehren.

Theoretishe Physiker spekulieren zwar über Zeitreisen mittels rotierender Universen oder stabiler Wurmlöcher in der gekrümmten Raumzeit; jedoch sind all dies höchst umstrittene Gedankengebilde und in der Realität mit Sicherheit unmöglich. Wir sind damit gefangen im Jetzt. Das sehr schnell zu morgen oder "Zehn-jahre-später" wird. Und dann die Zeit für uns, weil wir langsamer denken, viel zu schnell vergeht. Pflücket also den Tag!